As-Dur Wellenspiel

August 21, 2023 § Hinterlasse einen Kommentar



Ein begnadeter Meister seines Faches hat mein Klavier verzaubert. Nicht nur gestimmt, sondern die verhärteten Hämmerchen so gepiekst, dass alle Töne sich auf das Harmonischste miteinander verbinden und man eigentlich nach dem Anschlagen des ersten Akkordes der As-Dur Sonate op. 110 schon gar nicht mehr weiterspielen möchte, um in Ruhe dem sich immer neu aus tausenden Schwebungen findenden und letzlich verebbenden Klang zu lauschen. Einen solchen wohlbalanciert angeschlagenen Akkord muss man sich in seinem Klangverlauf vorstellen wie das Zusammenspiel sanft auslaufender und einander überlagernder Wellen am flachen Meeresstrand. Dabei sind die Ohren dem akustischen Klavier in seiner beeindruckenden Physis so ausgeliefert wie die Augen dem Licht- und Wellenspiel am Strand. Hielte man – nur mal so zum Spaß – ein elektronisches Klavier aus tastenweise angeforderten Samples in Plastikummantelung dagegen, so entspräche das optisch dem Plumpsen zweier Wackersteine in den Sand. Oder so ähnlich.

Kurz vor Ende des Beethoven-Jahres ein Aufruf an die Physik

Dezember 25, 2020 § 7 Kommentare

Beim Nachdenken über Musik mal wieder bei der Physik gelandet. Das fing an mit einem Beethoven-Film zu der Frage, ob eine Welt ohne Beethoven vorstellbar wäre. Und ob er den ersten Boogie-Woogie ever komponiert hat, mithin den Jazz in die Musik brachte. Die dritte Variation des letzten Satzes seiner letzten Klaviersonate lässt sich nämlich so hören. Oder spielen, als ein von rollenden Bässen getriebener Uptempo-Shuffle. Gefällt freilich nicht jedem, je nachdem, ob man nun Jazz im allgemeinen oder Boogie im besonderen mag. Da wüsste man doch gerne, wie  Beethoven selber das gespielt hat. Hatte das bereits das typische Uptempo-Jazz-Feel, also den gnadenlos metronomischen Puls, vor dessen Hintergrund die Dauersynkopierung ihre orgiastische Wirkung erst entfaltet? Immerhin war Beethoven ein großer Fan des gerade erfundenen Metronoms, und möglicherweise sowieso von nordafrikanischer Abstammung, was seine Neigung zu patternorientierter Rhythmik (seine fünfte Symphonie!) auch genetisch grundiert (und nebenbei seine erwiesenermaßen ausgesprochen dunkle Hautfarbe erklärt) hätte. Leider war die Tonaufzeichnung noch nicht erfunden, alles Schall und Rauch seinerzeit. Oder vielleicht doch nicht? Wandert Schall nicht, wie Licht auch, durch den Raum? Als Welle, nur viel langsamer? Also einholbar, im Unterschied zur Lichtgeschwindigkeit, die fürs erste ja durch kein Gefährt der Welt zu durchbrechen ist. Eine Schallwelle, zu Jahresbeginn 1822 vom Meister an seinem Broadwood-Flügel auf die Reise gebracht, wäre heute – flugs eine Rechnung aufgemacht mit der durchschnittlichen Schallgeschwindigkeit von 343 Metern pro Sekunde – ca. 2.141.730.904 Kilometer von der Erde entfernt. Also irgendwo zwischen Saturn und Uranus. Da könnte man doch mal eine Weltraummission auf den Weg bringen, für einen wirklich guten Zweck – dachte ich, wohl erwägend, dass ja leider, beziehungsweise Gott sei es gedankt, Schallwellen schnell an Energie verlieren und Beethovens vermeindlicher Boogie von 1822 selbst mit den empfindlichsten Ohren da draußen nicht mehr zu hören wäre – vielleicht aber mit ultrasensibler Teleskoptechnologie? Apropos „da draußen“. Noch ein Problem. Schallwellen bedürfen zu ihrer Ausbreitung eines Mediums. Üblicherweise Luft, festere Materie tut es auch. Leider nicht überhaupt keine Materie, wie man sie regelmäßig im All vorfindet. Beethovens Töne erloschen also auf ihrem Weg Richtung Uranus bereits nach knapp drei Minuten beim Verlassen der Erdatmosphäre. Aus und vorbei, finito. Schweigen ad infinitum. Also wirklich wirklich? Physiktreibende, Wissenschaftlernde dieser Erde, kann das sein? Wenn vor Jahrmillionen ein Käfer nach schlecht verdauter Mahlzeit pupste, lassen sich heute Spuren davon in Erdschichten nachweisen. Was aber ein Beethoven vor noch nicht mal zweihundert Jahren der Welt mitzuteilen hatte soll verloren sein, für immer? Also bitte meine Herren (und gerne auch die paar Damen der Community): schärft eure Instrumente!

Urlaub fünf

August 12, 2020 § Hinterlasse einen Kommentar

Die Ostsee. Ein schmaler Streifen Glück dieser Tage. Abends brannte dann der Himmel. Passend dazu lese ich in Hinrichsens Beethoven-Buch über das Werk, mit dem der Meister seine größten Erfolge feierte, das die Nachwelt jedoch am liebsten aus dem Werkkatalog streichen würde: Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria.

Beethovens Vorgehensweise, zur Schilderung der Schlacht realen Kanonenschall, Gewehrfeuer und marschierende Trommeln in Stellung zu bringen – anstatt tonmalerisch mit musikalischen Mitteln zu arbeiten – kritisierte ein zeitgenössischer Rezensent mit dem sehr zutreffenden Hinweis, das sei ja so, als würde ein Maler, anstatt die Sonne zu malen, ein Loch in die Leinwand schneiden und das Bild vor die Sonne halten. Beethoven kommentiert in seinem Exemplar der Zeitschrift: „Ach du erbärmlicher Schuft, was ich scheiße ist beßer, als was du je gedacht -„ Nicht wirklich der elaborierte Code, wie wir ihn von seinen Meisterwerken her kennen. Zukunftsweisend aber doch. Die Künstlerscheiße in Dosen gab‘s 150 Jahre später (Piero Manzonis Merda d‘artista), und fast so lange hat es auch gedauert, bis das von Beethoven angewandte Verfahren als „musique concrète“ kunstfähig wurde (übrigens auch das Aufschneiden von Leinwänden) Ich lerne von Beethoven: Souverän ist, das Niveau des Kritikers einfach mal zu unterlaufen. Die Sonne ging dann übrigens noch ganz friedlich unter

Frequenzlos glücklich. Der späte Beethoven erobert die Stille

Juni 1, 2020 § 7 Kommentare

Am Ende schraubt unbändiger Ausdruckswillen das euphorisch entfachte Fugenthema in immer lichtere Höhen, während gleichzeitig die rhythmisch-harmonische Begleitfigur in Sub-Bass-Tiefen hinabpoltert. Die abschließende Akkordbrechung durchmisst fortissimo ein letztes Mal den gesamten Tonraum, und wenn der malträtierte Flügel hier nicht zerspringt, so stieben doch die Töne hinaus in den Orbit  – nichts hält sie mehr zusammen. – In den Alpen erklomm ich mal einen Berg, stundenlang ging der Weg steil bergauf, mehr ein Kraxeln auf allen Vieren, dicht vor meiner Nase unablässig die steile Flanke des Bergmassivs. Plötzlich, ohne jede Vorwarnung war ich oben – ein schmaler Grad nur –  und statt der Wand vor Augen jäh Leere, Abgrund, freier Fall ins tief unten liegende Tal. Der Boden schien mir unter den Füßen weggerissen, ein Schwindel ergriff mich, in den sich Entsetzen und Euphorie gleichermaßen mischten. Dies ist der Moment nach Abreißen des Schlussakkords der vorletzte Klaviersonate Beethovens. Und welch bedeutsamer Umstand, dass er, der nichts mehr hörte, hier in übersteigertem Ausdruckswillen eine Musik komponierte, die am Ende ihre klanglichen Fesseln abwirft. Eine Musik, deren letzte Konsequenz das Schweigen ist, als gefroren zitternder Nachhall. Nach jahrelangem Aufbegehren gegen das Schicksal seiner Taubheit zieht er die Musik hinein in seine Welt des Schweigens.

Beethoven komponierte die Sonate in As-Dur op. 110 im Jahr 1821 nach schwerer Krankheit, und unter dem Eindruck des Todes derjenigen Frau, die er über viele Jahre geliebt hatte, aber nicht heiraten konnte. „Mein Engel, mein alles, mein ich“ – so beginnt der berühmte Brief, den Beethoven einst dieser Frau geschrieben hatte, und bei der es sich, nach allem was man heute weiß, eigentlich nur um Josephine von Brunswick gehandelt haben kann. Sie starb 1821 als Mutter von sieben Kindern, getrennt von ihrem zweiten Ehemann, weitestgehend im Stich gelassen von ihrer vermögenden Familie, krank und in bitterer Armut. Mit ihrem Tode endet auch für Beethoven eine Beziehung, die ihn über viele Jahre emotional vereinnahmte und Höhen und Tiefen durchleben ließ. Mit der As-Dur-Sonate setzte er ihr ein Denkmal. Die hier relevanten thematisch-biografischen Bezüge sind in der Literatur ausführlich dargestellt worden. Auch der Bezug zu Bachs Arie „Es ist vollbracht“ aus der Johannespassion. Niemand jedoch scheint aufgefallen, dass dieser Bezug keineswegs zufälliger Natur sein kann, sondern Beethoven sich hier über das melodische Zitat hinaus modellhaft an der Arie orientiert. In dieser folgt nämlich auf einen langsamen, klagenden Teil, ein schneller zweiter Teil, der den Tod Jesu als Sieg feiert und melodisch mit einer aufsteigenden Quart beginnt. Und hier sind wir mitten in der Betrachtung der ungewöhnlichen formalen Anlage der Beethovenschen Sonate, deren ergreifendstes Moment ein ihr innewohnender Prozess der Überwindung einer Totenklage mit den Mitteln schöpferischen Gestaltens ist. Dem Menschen sind die Möglichkeiten zu künstlerischem Schaffen gegeben, und indem er sie anwendet, befreit er sich vom Zwangscharakter seines ihm auferlegten Schicksals. So ähnlich muss es Beethoven empfunden haben, als er die Form seiner Sonate entwickelte. Nach zwei eher konventionell angelegten Sätzen beginnt der dritte und letzte scheinbar als langsamer Satz, entpuppt sich jedoch als Rezitativ und Arie (in den Noten tituliert als „klagender Gesang“), gefolgt von einer Fuge (Thema aus aufsteigenden Quarten!), die auf ihrem Höhepunkt abbricht und einer Wiederkehr des klagenden Gesangs weicht, einen halben Ton tiefer als zuvor, und mit quasi erstickter Stimme vorgetragen, nämlich von Pausen durchsetzt. Der ‚gutgemeinte’ Fugenansatz vermag nicht zu trösten, bringt keine Überwindung der Todesklage, die Trauer bricht mit letzter Kraft  (im Notentext: „ermattet, klagend“) erneut durch. Wie nun aber die Überwindung dennoch gelingt, die Todesnähe nicht nur überwunden, sondern in ein rauschhaftes Finale und beglückende Lebensbejahung transformiert wird, ist pure Magie. Zur Anwendung kommen altbackene Techniken der Fugenkomposition wie Umkehrung, Engführung, Augmentation, Diminution, womit man seit Jahrhunderten noch jeden Kompositionsstudenten quält. Beethoven setzt sie aber nicht zur höheren Ehre Gottes ein, wie dies das große Vorbild J. S. Bach zweifellos getan hatte, sondern er nutzt sie als Treibstoff zur Zündung seiner Rakete, die nichts weniger als die Musik selbst in den Orbit schießt. Jene in Sub-Tiefen brodelnde rhythmisch-harmonische Begleitfigur des Finales entwickelt sich nämlich unmittelbar aus dem Fugenthema und trägt zugleich dessen hymnische Schlussapotheose. Da dieser Sonatenschluss zudem den Anfang der Sonate aufgreift, fortsetzt und vollendet – jenes Anfangsthema, das unmittelbar die Erinnerung an die geliebte Josephine evoziierte – haben wir hier die postmortale Verschmelzung Beethovens mit seiner „unsterblichen Geliebten“ in einer entmaterialisierten Welt ohne Klang.

 

Anmerkungen:

In der populären Beethoven-Literatur steht die vorletzte der 32 Klaviersonaten Beethovens leider im Schatten der viel berühmteren letzten, der c-moll Sonate Opus 111. Das liegt zu einem nicht geringen Teil an Thomas Mann, in dessen Roman Doktor Faustus Opus 111 eine gewichtige Rolle spielt. Was wir wiederum Adorno zu verdanken haben dürften, der Manns Einflüsterer in Sachen Musik beim Schreiben des Romans war. 

Das Bild einer am Ende ihre klanglichen Fesseln abwerfenden Musik stammt in dieser Formulierung von Alfred Brendel.

Zum Thema „Unsterbliche Geliebte“  empfehle ich das Buch „Beethoven und seine ‚unsterbliche Geliebte‘ Josephine Brunswick“ von Marie-Elisabeth Tellenbach (Zürich 1983).

Neu entfacht hat meine Beschäftigung mit Beethoven in diesem – seinem – Jahr die sehr umfangreiche, gut zu lesende und noch immer aktuelle Biografie „Beethoven. Der einsame Revolutionär“ von Jan Caeyers (München, 4. Auflage 2014).

Wer nach einer guten Einspielung der Sonate sucht, dem kann ich nur Geduld ans Herz legen. Unter den 256 Einspielungen, die (gebührenpflichtig) bei Naxos bereitliegen, habe ich bisher wenige gehört, die mich begeistern, praktisch keine aber, die den Notentext in allen seinen Implikationen und Verästelungen wörtlich nähme. Die so bedeutsamen Pausen in der abgerissenen Melodieführung der Wiederkehr des klagenden Gesanges beispielsweise, die gerade die Essenz des „ermattet“ ausmachen, werden nahezu flächendeckend mit Pedal überspült [sic]. Ganz zu schweigen von der in neueren Einspielungen üblichen „Anreicherung“ des Klavierklanges mit künstlichem Hall, der als „sound“ zwar oberflächlich zu beeindrucken vermag, dabei aber jede klangliche Nuancierung im Keim erstickt. Man höre hier zum Vergleich beliebige Aufnahmen aus den fünfziger, sechziger Jahren, bei denen sich selbstverständlich der Eindruck einstellt, vor einem Flügel zu sitzen, statt in der zehnten Reihe einer Kirche mit vor dem Altar aufgebautem Instrument.

Mark Hollis tot.

Februar 26, 2019 § 12 Kommentare

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Noch heute springe ich entfesselt auf jede Tanzfläche, wenn die Elefanten zum Tanz blasen und das Intro zu Such a Shame anhebt. Ich mochte diese Musik in den Achtzigern, It’s my life, Such a Shame, Renée, dann Happyness is easy, Life is what you make it. Diesen Synthipop, dessen zeittypischer Elektroplastiksound so gar nicht zur Gestimmtheit des Sängers passte. Er presste mehr als dass er sang, hatte keine große, oder auch nur glatte Stimme, da war kein Einschmeicheln oder Anbiedern – nur raus musste etwas, von ganz weit unten den menschlichen Eingeweiden abgerungen und der Welt vor den Latz geknallt, ob die das wollte oder nicht. Wollte sie schon, die Band wurde mit „The Colour of Spring“ so erfolgreich, dass die Plattenfirma in ihrer grenzenlosen Blödheit glaubte, eine Kuh immer weiter melken zu können und die Band für ihr nächstes Album mit einem fetten Etat und unbegrenzter Freiheit der Produktion ausstatte. In den Neunzigern entdeckte ich die Band neu, gewissermaßen vom anderen Ende, von der Klassik und dem Jazz herkommend. Es hatte sich mit den beiden letzten Alben Spirit of Eden und Laughing Stock eine völlig neue Welt aufgetan. Die Tanzbarkeit war weg, aber der hypnotische Groove, ein Erbe Jaki Liebezeits, pulsierte im Spiel Lee Harris‘ weiter, die Sounds verbanden sich mit der Stimme, ein Kinderchor sang, kammermusikalisches Instrumentarium erschloss neue Klangwelten, alles wurde Ereignis.

I just can’t bring myself to see it starting

Danach war Schluss. Aber ich brannte und versuchte eine zeitlang, alles über die Band heraus zu bekommen. Über Mark Hollis, diesen seltsamen Vogel, diesen Intellektuellen im Gewande eines Soulsängers, diesen aus der Zeit gefallenen Hippie, der sich auf dem Höhepunkt seiner Sängerischen Karriere beim Jazzfest in Montreux ins Mikrofon verbeißt als wolle er mit dieser stahlummantelten Membran die Unfassbarkeit der Welt beim Schopfe packen (im Video der Nachwelt erhalten). Der sich eine Karriere lang an den Oberflächlichkeiten und Abstrusitäten des Pop-Business abarbeitete und am Ende verstummte. Nicht ohne ein letztes Lebenszeichen von sich gegeben zu haben, eine Soloplatte als Vermächtnis. Die Schönheit dieser Musik rührt an Existentielles, löst Beklemmung aus. Etwas Vergleichbares findet sich nur in der Cavatina aus Beethovens letztem Streichquartett op. 130. Angesichts dieses Abgangs aus der Öffentlichkeit ist es beinahe ein Wunder, dass man überhaupt von seinem Tod erfuhr. Von den Großen, Verrätselten der Pop-Welt lebt jetzt nur noch Scott Walker.

Ich lege „I Believe in You“ auf, den Song, den man mir dereinst zum Abschied mit auf die Reise geben möge. Und all die anderen auch.

Kunst macht was sie will

Februar 17, 2018 § 36 Kommentare

 

Sie hören gerne Madrigale von Gesualdo, diesem begnadeten Komponisten des Barock? – Vorsicht: der Mann war ein Mörder!

Sie gehen gerne in eine Wagner-Oper? Achtung: Der Komponist war Antisemit!

Sie lieben das völkerverbindende Chorfinale der neunten Symphonie von Beethoven? Bedenken Sie bitte, dass dieser Mensch die Ideale seiner Kunst im Alltag nicht annähernd erreichte, vielmehr seine Verleger regelmäßig über den Tisch zog und den eigenen Neffen erst per Gerichtsbeschluss der Mutter entzog und ihn dann durch erdrückende Bevormundung in den Selbstmordversuch trieb.

Sie lieben die Bilder von Balthus? Wissen aber schon, dass der vermutlich pädophil war und nur malte, um seine perversen Triebe auszuleben!?

Sie interessieren sich für Bilder des Dilettanten? Diesem notorischen Licht-unter-den-Scheffel-Steller, in dessen Keller sich die Leichen wahrscheinlich haushoch stapeln?

Sie haben sich immer gerne einen unterhaltsamen Film von Dieter Wedel angeschaut? Dabei hätten Sie doch schon damals ahnen können, was für ein ———

Ich breche an dieser Stelle ab, denn Sie merken, geneigter Leser, hoffentlich geneigte Leserin, worauf es hinausläuft. Ich spiele an auf die gegenwärtige Sexismus-Debatte, in deren Gefolge immer häufiger die Frage gestellt wird, ob man Kunst von Künstlern, die sich eines Vergehens schuldig gemacht haben, noch rezipieren dürfe. Dabei ist die Sache – für mich – ganz einfach. Die überfällige, notwendige Sexismus-Debatte rührt an die Grundfeste unserer Gesellschaft, indem sie Machtstrukturen und ihre Auswirkungen aufdeckt, insbesondere soweit sie sich auf das Verhältnis der Geschlechter auswirken. Dass dabei das ganze Gebäude, um im Bild zu bleiben, wackelt, manches zu Bruch geht, und sich die Statik neu zurecht ruckeln muss, liegt auf der Hand. Viel Hysterie, auf beiden Seiten, ist im Spiel. (Dass eine Hochschule ein Gedicht, das sie vor zehn Jahren an die Häuserwand hat malen lassen, jetzt übermalen lässt, kann man gut finden oder nicht. Diese Maßnahme als „Zensur“, oder gar die Zerstörung eines Kunstwerkes zu verstehen, halte ich für völlig überzogen. S. z. B. hier.) Für mich ist entscheidend, dass Männer, die gerne junge Frauen im Bademantel unter vier Augen zu einem dienstlichen Termin empfangen, sich nun zweimal überlegen müssen, ob sie das damit verbundene Risiko noch eingehen möchten. Nur mal so als Beispiel. Dass als Preis für diesen Verlust männlicher Dominanzmuster angeblich die Freiheit der Kunst zur Disposition stünde, ist ebenfalls absurd. (siehe z. B. hier ) In einem historischen Kontext betrachtet, war die Freiheit in der Kunst, und die Freiheit des Künstlers noch nie so groß wie heute. Zurück also zu der Frage, ob manche Kunst nun gewissermaßen kontaminiert sei. Punkt eins: alle Kunst, sofern sie nicht gegen geltendes Recht verstößt, muss zugänglich sein. Punkt zwei: ob und wie die Rezeption eines Kunstwerks belastet wird durch die Kenntnis der Biografie des Künstlers, kann nur jeder Rezipient für sich entscheiden. In Israel wurden beispielsweise Opern Wagners lange Zeit nicht aufgeführt (ich weiß nicht, wie da der aktuelle Stand ist). Das wäre den Opfern der Shoa und deren Nachkommen wahrscheinlich auch nicht zuzumuten gewesen. Ich persönlich höre Madrigale Gesualdos und kann vielleicht gewisse Chromatizismen darin auf ein spannungsreiches Leben beziehen, fühle aber keinerlei „moralische“ Verpflichtung, etwa mit Rücksicht auf das damalige Mordopfer, mir den Musikgenuss zu versagen. Das gilt entsprechend für Beethoven und andere Beispiele. Allerdings gibt es auch für mich eine Grenze, die ich niemals überschreiten würde. Mal angenommen, irgendein Provinzmuseum würde von Hitler gemalte Bilder in einer Kunstausstellung wie selbstverständlich neben Bildern anderer Maler präsentieren, so als könne man „einfach so“ mal den Maler Hitler zeigen, so wäre das für mich inakzeptabel. Es gibt folglich Tabus, als ganz große Ausnahme. Ansonsten gilt für mich: Kunst ist Kunst, und Schnaps ist Schnaps.

 

 

P. S. In der Süddeutschen Artikel erschien letzte Woche ein lesenswertes Interview zum Thema mit Heike Makkatsch. Ebenfalls empfehlen möchte ich in diesem Zusammenhang den Blog der Dame von Welt, insbesondere diesen Artikel.

 

Neunter Versuch über beethoven

Februar 15, 2018 § 2 Kommentare

(Nach dem Bildnis von Joseph Stieler)

beethoven lässt sich malen, zugleich achter Versuch

Februar 12, 2018 § 2 Kommentare

Ich liess mich am frühen Morgen bei ihm melden. Seine alte Haushälterin liess mich wissen, dass er bald kommen würde, er wäre noch beim Frühstück, hier wären aber Bücher von Goethe und Herder, womit ich mich unterdessen unterhalten möchte. Endlich kam Beethoven und sagte: „Sie wollen mich malen, ich bin aber sehr ungeduldig“. Er war schon sehr taub, und ich musste ihm, wenn ich etwas sagen wollte, dasselbe entweder aufschreiben oder er setzte das Rohr an, wenn nicht sein Famulus (ein junger Verwandter von etwa 12 Jahren) zugegen war, welcher ihm dann die Worte in das Ohr schrie. Beethoven setzte sich nun, und der Junge musste auf dem Flügel üben, der ein Geschenk aus England war und mit einer grossen Blechkuppel versehen war. Das Instrument stand ungefähr 4 – 5 Schritte hinter ihm und Beethoven corrigierte dem Jungen, trotz seiner Taubheit, jeden Fehler, liess ihn Einzelnes wiederholen etc. … Nach ungefähr 3/4 Stunden fing er an unruhig zu werden; nach dem Rathe Dont’s wusste ich nun, dass es Zeit sei aufzuhören…*

Das Original des Ölbildes, das der Maler August Karl Friedrich von Kloeber anhand von Skizzen, die während mehrerer Sitzungen 1817 entstanden, gemalt hatte, ist verschollen. Der Bericht Kloebers über seine Begegnung mit beethoven vermittelt aber einen Eindruck von den Schwierigkeiten, diesem damals bereits in ganz Europa berühmten Mann ein Bildnis „abzuringen“. Zudringliche Paparazzis und das seltsame Verhalten öffentlichkeitsscheuer Promis sind nämlich keineswegs eine Erfindung unserer medienverseuchten Gegenwart. Aus ganz Europa reisten damals sensationslüsterne Touristen und Gaffer nach Wien und in die umliegenden Badeorte, um, wenn schon nicht persönlich zu ihm vorgelassen zu werden, wenigsten einen Blick auf den hochberühmten aber skurrilen Mann während einer seiner notorischen Wanderungen werfen zu können. An gut gemeinten Verhaltensratschlägen hierfür wurde nicht gespart. Nochmal Zitat Kloeber:

Bei meinen Spaziergängen in Mödling begegnete mir Beethoven mehrere Male… Dont hatte mir gesagt, dass, wenn ich ihm so begegnen würde, ich ihn nie anreden oder bemerken sollte, weil er dann verlegen oder gar unangenehm würde.

Desgleichen der Verfasser eines Nekrologs nach beethovens Tod 1827 in der Dresdener Abendzeitung:

nicht mehr wird der Wanderer aus der Ferne, wenn es ihm gelungen [!], die seltsame, aber anziehende Erscheinung [beethoven] unbemerkt zu betrachten, oder wenn diese, die Gegenwart des Fremden gewahrend, plötzlich in die noch tiefere Einsamkeit verschwunden ist, sinnend seinen Weg fortsetzend.

Einmal in seinem Leben unterzog beethoven sich der Prozedur der Abnahme einer Gesichtsmaske. Anhand dieser formte der Bildhauer Franz Klein seine beethoven-Büste:

 

beethoven. Nach der Büste von Franz Klein

 

 

* Leipziger Allgemeine Musikalische Zeitung vom 4.5.1864

** zitiert nach: Erinnerungen an Beethoven. Skizzen. Zeichnungen. Karikaturen. Erläutert von Silke Bettermann. Bonn 1987.

 

Armer, großer beethoven – als siebter Versuch

Februar 6, 2018 § 2 Kommentare

 

Wem der große Wurf gelungen,

Eines Freundes Freund zu sein,

Wer ein holdes Weib errungen,

Mische seinen Jubel ein!

Ja – wer auch nur e i n e Seele

S e i n nennt auf dem Erdenrund!

Und wer’s nie gekonnt, der stehle

Weinend sich aus diesem Bund“

eines Freundes Freund zu sein“ konnte beethoven wohl, nicht aber „ein holdes Weib“ erringen. Diese und weitere Verse aus Schillers männerbündischem Trink- und Sauflied* „Ode an die Freude“ vertonte beethoven im Schlusssatz seiner neunten Symphonie, ohne freilich sich an Schillers Rat gehalten zu haben. Zwar liebte er Frauen, hatte unzählige Affairen und war sich eine zeitlang nicht zu schade, Freunde in den Dienst seiner Brautschau zu stellen. Doch stahl er sich keineswegs „weinend aus diesem Bund“, nachdem noch die letzte seiner Avancen gescheitert war. Er tat, was einem Künstler geziemt – er sublimierte nach Kräften. Heraus kam dabei unter anderem sein  grandioses Spätwerk, dieses Produkt einzigartiger Selbstüberwindungskunstanstrengung. Dass die Anstrengung dabei allzu oft dem Werk eingeschrieben blieb, verdeutlicht gerade jenes berühmte Chorfinale, dessen auskomponierter Freudentaumel Züge einer karnevalesken Groteske annimmt („Freudig wie ein Held zum Siegen“). (Freilich ist das Bild einer sich freudetaumelnd in den Armen liegenden Millionenschar anders auch nicht vorstellbar.) Den berührendsten, zugleich rätselhaftesten Einblick in beethovens Liebesleben gewährt jener berühmte Brief, der sich in seinem Nachlass befand und dessen letzter Passus mit den Worten „… guten Morgen am 7ten Juli – schon im bette drängen sich die Ideen zu dir meine Unsterbliche Geliebte“ beginnt. Aus Gründen absoluter Diskretion, die auch im promiskuitiven Wien des frühen 19. Jahrhunderts, insbesondere bei Beteiligung hochstehender Personen geboten war, benennt beethoven seine Adressatin nicht. So forschen und forschten seit Erstveröffentlichung dieses Briefes 1840 Heerscharen von Musikwissenschaftlern nach der „unsterblichen Geliebten“. Nachdem zeitweise über zehn Kandidatinnen im Rennen um die Gunst des Titels lagen, verengt sich das Feld in neuerer Zeit auf zwei Personen: Josephine Brunsvik, verwitwete Gräfin und in zweiter Ehe mit dem Hauslehrer ihrer Kinder, Christoph Freiherr von Stackelberg verheiratet, sowie Antonie Brentano, Gattin des vermögenden Frankfurter Kaumanns und späteren Senators Franz Brentano. In ihrem extrem gut recherchierten und die bisherigen Erkenntnise zusammenfassenden Buch „Die Entschlüsselung des Rätsels um die ‚Unsterbliche Geliebte“** wartete die Japanische Wissenschaflterin und Feminismusforscherin Yayoi Aoki 2001 mit einer überraschenden Hypothese auf. Demnach hatte beethoven in der fraglichen Zeit des Briefes nicht nur ein Liebesverhältnis mit Antonie Brentano, der demnach der Titel „Unsterbliche Geliebte“ gebührt – und die trotz Entfremdung von ihrem Gatten in genau dieser Zeit sich von diesem schwängern ließ  -, sondern zeugte seinerseits mit der Geliebten aus früheren Tagen Josephine Brunsvik ein Kind. Das ist ziemlich genau das, was meine Mutter, ihren Vater zitierend, „ungeordnete Verhältnisse“ zu nennen pflegt. Ich denke, es ist das, was Menschen tun wenn sie von Gefühlen überwältigt werden. Armer, großer beethoven.

 

 

 

 

* „Brüder fliegt von euren Sitzen, / Wenn der volle Römer kreist, / Lasst den Schaum zum Himmel spritzen: / Dieses Glas dem guten Geist!“

** Aus dem Japanischen von Annette Boronnia, erschienen 2008 im Iudicium Verlag GmbH München

beethoven, die sechste

Februar 1, 2018 § Hinterlasse einen Kommentar

beethoven liebte die Natur. Wann immer sich die Gelegenheit bot, zog er vor die Tore Wiens aufs Land und unternahm ausgedehnte Spaziergänge oder Wanderungen. Seine Musik legt Zeugnis davon ab, am eindrücklichsten vielleicht in der sechsten Sinfonie, der sogenannten „Pastorale“. Nicht, weil er glaubte sich musikalisch nicht verständlich machen zu können, sondern im Überschwang der Begeisterung gab er entgegen seiner sonstigen Gewohnheit der Partitur  sprachliche Hinweise mit auf den Weg. „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Land“, oder: „Frohe, dankbare Gefühle nach dem Sturm“, und sogar: „Nachtigall“, „Wachtel“, „Kuckuck“. Rezipienten der Nachwelt, insbesondere akademisch-intellektueller Couleur, taten sich schwer mit einer solcherart vermeintlich naiven „Naturmahlerey“. Dabei frappiert noch heute, wie beethoven eine derart beglückende, gelöste Musik gelingen konnte, dabei sämtliche Fallstricke von Peinlichkeit nicht nur umschiffend, sondern deren schiere Möglichkeit durch die meisterlich auskomponierte Synthese von Inhalt und Form negierend.

 

Vorlage für das Bild wieder beethovens Totenmaske. Hier die Vorzeichnung:

 

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