Letzte Skizzen

Mai 16, 2019 § 4 Kommentare

Die Brunnenburg oberhalb Merans war der letzte Wohnsitz des amerikanischen Dichters Ezra Pound. Heute  beherbergt sie ein landwirtschaftliches Museum. Die eindrucksvolle Sammlung alter Gerätschaften und Demonstration obsolet gewordener Techniken zeigt, welch kräftezehrende Plackerei der Broterwerb in früheren Zeiten war. Während heute kleine Roboter den Rasen selbsttätig mähen, musste annodazumal an besonders steilen Hängen sogar der Mutterboden vorm Säen in Körben eigens hinauf getragen werden, weil die extreme Hanglage der dünnen fruchtbaren Krume übers Jahr zuwenig Halt bot. Was geht‘s uns heute gut, pflegt meine Mutter in solchen Momenten zu sagen. Und sie weiß wovon sie redet, mit ihren knapp neunzig Jahren. Könnten die Damaligen unsere heutige Zeit erleben, sie wähnten sich vermutlich im Schlaraffenland. Nicht wenigen von uns dagegen dünkt gerade diese Vergangenheit als das verlorene Paradies, als eine Zeit, da Menschen im Einklang mit der Natur und frei von jeglicher Entfremdung lebten. Wie auch immer – wir brechen unsere Zelte morgen ab. Hier ein paar letzte Skizzen, manche rasch dahingeworfen unter Zeitdruck, andere tränenden Auges starken Winden abgetrotzt. Einige entstanden im Café, der Bergbahn, oder auf dem Balkon.

Schneewärts

Mai 13, 2019 § Hinterlasse einen Kommentar

Weil wir uns den Schnee erwandern wollten, fuhren wir nur bis zur Mittelstation hinauf. Unterwegs dann die Vegetation teils um Wochen hinter der unten im Tal zurück, zarte Knospen erst, aber saftiggrüne Wiesen in hübschem Kontrast zu Felsengesprenkelten Schneegipfeln im Hintergrund. Ein paar Schafe aufs Fressen konzentriert mit wenig Sinn für die erhabene Bergwelt.

Dann vereinzelt Schneereste, schnell aber großflächig krustig tauender schließlich feinster Pulverschnee. Wer wie ich den Winter über keinen Schnee abbekam, holt ihn sich eben im Mai im Hochgebirge. Passt schon, im Nachhinein. Höhe gewinnen aber ist anstrengend:

Oben auf der Alm tapfer draußen gesessen, eine gnädige Sonne gibt sich, vielmehr uns die Ehre, das Bergpanorama fest im Blick.

Später aber drinnen am offenen Kamin aufgewärmt, bevor‘s hinunter ging, fast im Galopp weil Knieschonender. Merke: Abwärts immer die Schwerkraft mitnehmen anstatt sich dagegen zu stemmen, ist effizienter. Und Papas alte Wanderschuhe, rechtzeitig neu besohlt, gewährleisteten sicheren Tritt. Jetzt sitzen wir im Ort auf dem Balkon und schauen hinauf zum Schnee, dessen Weiß nahtlos in den Himmel übergeht. Und dieser Himmel glänzt wie ein Spiegel der nur Licht reflektiert.

pars pro toto

Mai 11, 2019 § 2 Kommentare

Die Opulenz der Berge sprengt jedes Maß. Da ist es angeraten, sich beim Abzeichnen erst mal auf wohlproportionierte Ausschnitte zu beschränken, und sich von den Gebirgspanoramen nicht irre machen zu lassen. Asiatische Künstler wählten für die Darstellung bergiger Landschaften in ihrer grenzenlosen Weisheit vorzugsweise Hochformate, zerschnitten also horizontale Linien und konzentrierten sich auf das, was sich innerhalb eines schmalen Bandes zwischen Himmel und Erde abspielt. Sollten es dennoch unbedingt Überblickspanoramen werden, hülfe im Grunde nur, die Leere des Bildträgers sprechen zu lassen. Beziehungsweise sie durch wenige gekonnt gesetzte Striche und hier und da angedeutete Farbsprengsel in Szene zu setzen. Die Altvorderen der Landschaftsmalerei konnten das, und praktizierten es vorwiegend in ihren Skizzen. Stellvertretend nenne ich hier, weil er weniger bekannt ist, aber sensationelle Landschaften entwarf, Carl Rottmann. Im 19. Jahrhundert bereiste er als einer der ersten Griechenland und widmete seine Arbeiten den Stätten der griechischen Mythologie. In der Berliner Alten Nationalgalerie hängt sein Bild „Schlachtfeld bei Marathon“, da wird einem vor lauter Wetter auch ohne jegliche Andeutung menschlichen Wirkens ganzschön schwindelig. Aber zurück zum Ausgangspunkt. Klein anfangen. Im Ort. Ins DIN-A6-Notitzbüchlein. Diese Skizzen mit dem Rapidograph (Tusche):

 

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Diese in Graphit:

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Und diese durch die fernöstliche Brille, zudem im Tryptichon, aber ohne tiefere Bedeutung, es passten drei Hochformate nebeneinander, wiederum mit dem Rapidograph:

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Nachlese

Juni 28, 2018 § Hinterlasse einen Kommentar

 

Schon Geschichte. Der Blick von unserem Südtiroler Balkon in den Garten der liebevoll gepflegten Anlage:

Und was da so alles wuchs:

Auf dem Rückweg Zwischenstopp aufm Häuschen im Vogelsberg. Paar Äste abgesägt und so. Die Natur macht ja sonst was sie will.

 

 

Vierter und finaler Riffian-Splitter

Juni 19, 2018 § 2 Kommentare

 

Wo der Berg an den Himmel stößt formt sich die Linie und krönt die Szenerie ringsum. Ein unermüdliches Auf und Ab, Steigen, Fallen, Herabsenken, Hintanziehen, Überspannen und Gleiten, Werben und Zagen, Schmeicheln, Stocken, Kratzen Krachen Stürzen Verlöschen. Ziehen Wolken herauf und herab löst sich alles auf. Als wir das Passeiertal verließen standen Dampf und Regen an den Hängen. Statt Kontur, Maß und Grandezza Uterus und Plazenta, Ursuppe. Aus diesem höchst faszinierendem aber verkehrstechnisch ungünstigen Schlamassel heraus wählten wir den sicheren Umweg über Bozen. Anstatt, wie letztes Jahr, in 2500 Metern über N. N. in Sommerreifen über den einschneienden Pass zu rutschen. Jedes Abenteuer hat seine Zeit.

Schwaches Nachzittern so mancher Linie, hier und da mit etwas Volumen angereichert:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abgerutscht. Dritter Riffian-Splitter

Juni 17, 2018 § 2 Kommentare

Ich fiel nicht hinein. Aber doch fast. Dabei sind ja Menschen schon zu Tode gestürzt beim Fotografieren. Schrammte mir bloß die Schienenbeine auf und ward einmal mehr meines Schutzengels gewahr, der es für meinesteils bei ein paar harmlosen Blessuren beließ während er die kleine Kamera sogar trotz ordentlich Spritzwasser und dem seitlich abrollend sich überschlagenden Träger gänzlich verschonte. Als ich nach der Schrecksekunde, die Kamera auf jeden Fall verloren wähnend, allmählich realisierte, ohne Brüche oder Prellungen davon gekommen zu sein, fiel mein Blick auf das unbekümmert weiter sendende Display der Kamera – eine Botschaft aus dem Jenseits, so schien es mir für den Moment. Aber alles Irdische ist Prosa, und so lobe ich mir die gute Wertarbeit japanischer Ingenieure. Grenzen freilich wurden aufgezeigt der Nostalgie, derzufolge ich noch immer in den Wanderschuhen meines Vaters laufe – Wertarbeit aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts und somit einer Zeit, als Qualität ein auf die Zukunft gerichtetes Vorhaben war anstatt in die Vokabel „nachhaltig“ hinein entsorgt zu werden. Fahrlässigerweise, denn in einigen Löchern des praktisch nicht mehr vorhandenen Profils der Sohle führe ich Steinchen des bereits letzten Wanderurlaubs spazieren. Als Nostalgie in der Nostalgie. Gewissermaßen. Dies also hätte leicht die letzten Bilder der Kamera werden können, als dann freilich aber auch schon nicht mehr sichtbare:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hinauf. Erster Riffian-Splitter

Juni 11, 2018 § 2 Kommentare

 

 

Zeit in den Bergen. Immer schön. Wollte ich rauskriegen, warum eigentlich, müsste ich tief in meine Kindheit zurück. Mythisch besetztes Land. Es passiert ja stets in den Bergen, oder auf See. Niemals aber im flachen Land. Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses. Da ziehen sich die gepeinigten Indianerstämme in die Berge zurück, dort sind sie sicher vor der US-Armee. Überhaupt Flucht. Wer hinauf steigt, entflieht der Zivilisation. Je unwirtlicher das Gelände, je steiler die Hänge, desto eher entzieht sich die Natur dem Zugriff des Menschen. Und lässt uns an ihrer Erhabenheit erschauern. Das lese man mal nach bei den ersten Alpentouristen im 18. Jahrhundert. Bei Goethe beispielsweise. Die Kosten dieser frühen alpinen Erkundungen waren freilich hoch, man riskierte etwas. Heute gibt’s die Alpen light. Aber eben doch elementar. Wenn das Gewitter aufzieht, die Schwerkraft über Leben und Tod entscheidet, die Almhütte schon geschlossen…

 

Felsen, ein reisender Poet, selbstangebauter Tabak in Kakanien und ein Gedicht

September 10, 2017 § Hinterlasse einen Kommentar

Die Berge lassen mich nicht los. Struktur, Wucht, Größe, Entrückung.

(Brenta-Gruppe, Becca di Filadonna, Ifinger, Rauhehoch)

 

Wo wir mit unserem Gefährt in einem Hohlweg oberhalb des Molveno-Sees stecken geblieben waren, zog anno 1855 der Jurist, Maler und Dichter Joseph Victor von Scheffel auf einem strohgedeckten Esel Richtung Molveno-Dorf. In seinem „Gedenkbuch über stattgehabte Einlagerung auf Castell Toblino im Tridentinischen“ berichtet er darüber:

„…Man reitet lang am Ufer hin; dann erscheint endlich der Kirchturm und die schindelgedeckten Steinhäuser von Molweno… Aber bevor man ins paese einreitet, steht in einer geröllüberdeckten Niederung beim See eine Sägemühle; ein Wildwasser kommt aus engem, dem Blick seither versteckten Thal hervor, in diesem Thal ragen finster und trotzig hinter den tannumsäumten Vorbergen viel zerklüftete kahle Hörner und Spitzen empor, ewiger Schnee glänzt in ihren Spalten, dunkle Eismassen umpanzern ihre Rücken, und hinter diesen Hörnern ragt eine zweite, noch wilder zerrissene Schicht Gebirges in unzugänglicher Höhe.. die Nebel kochen und wallen und weben unheimlich um die verhüllten Gipfel, .. das ist der Gletscher von Molweno .. wer Lust hat, mag in jene Wildnis emporklettern; wenn man drin ist, sagt Stefanus der Sklav, geht’s zwanzig Stund lang so fort und fort, dann kommt die alte Holzbrücke und dann die Schweiz … wer schon fünf Stunden in animalischem Sattel versessen, der ruft ‚vorbei! vorbei!‘ und reitet ins Wirtshaus.“

Im Ort angekommen wird der Fremde zunächst für einen Spitzel der Österreichischen Regierung gehalten:

„Ein galantuom im bekannten ausgebuchteten Frack trat [in das Wirtshaus] ein und knüpfte ein ausforschendes Gespräch an, das von der Besorgnis durchleuchtet war, wir möchten im Auftrag des österreichischen Tabakmonopols hier erschienen sein; denn wiewohl es zu allgemeinem Verdruß der Tiroler streng untersagt ist, daß der Mensch sich seinen Hausbedarf an edelm Kraut selber pflanze, war es ihm seither gelungen, hinter dem Rücken von Gendarmerie und finanza seinen Tabakgarten in gutem unkonfiscierten Stand zu erhalten. ‚Ist’s nicht unverantwortlich‘, sagte er, nachdem er uns über allen Verdacht erhaben befunden, ‚daß das governo uns, die es in allen Fällen der Not i bravi e fedeli Tirolesi heißt, untersagen will, uns auf eigenem Grund und Boden diese Kopf- und Herzstärkung zu bereiten?‘ Er zog eine altertümliche Dose mit einer staubartigen rötlichen Substanz, von der ich seither gewähnt, daß sich ihr Vorkommen auf süditalische Kapuzinerkloster beschränke, und bot sie mir an. ‚Es ist unverantwortlich!‘ sagte ich, nachdem ich seine Prise gekostet. – – -“

Bemerkenswert übrigens, dass zu einer Zeit, da ein auf einem Esel daherreitender Fremder in dieser Gegend für Aufsehen und anfängliches Misstrauen sorgte – geschweige denn, dass von irgendeiner Art Tourismus auch nur die Rede sein konnte – unser reisender Jurist und Dichter bereits um die Vergänglichkeit von Naturschönheit wusste, und ihre drohende Verschandelung durch massentouristische Begleiterscheinungen voraussah. Auf seinem Weg zum Molveno-See kommt er an einem kleineren See vorbei und beschreibt eindringlich dessen Schönheit:

„…aber aus den Tiefen dunkelten seltsame Farben wie aus dem Gemüt eines Einsamen; reichverschlungene Schichten von Wasserpflanzen deckten den größten Teil seines Bodens mit ihrem dunkeln Grün, an andern Stellen ward der gelbe Grund sichtbar, unbewegt lag das niedere Gewässer darüber .. es war wie ein großer geschliffener Malachitstein .. seltsam ineinand verwebte Schlingungen von Schwarz, Grün und Gelb … „,

um dem See dann folgendes Gedichtlein zu widmen:

„O zürne nicht, See von Nembia,
Im felsstarr schweigenden Thale,
Daß ein Mensch dich zu besuchten kam
Auf graulichem Animale.

Ich kenne dich, See von Nembia,
Ich lese aus deinen Zügen:
In ungekannter Schöne willst
Du nur dir selber genügen!

Fahr wohl drum, See von Nembia,
Und mög dich der Himmel bewahren
Vor allen Töchtern Albions
Und Berliner Referendaren!“

 

(Zitiert nach der 2. Auflage Stuttgart 1901)

Solides Schuhwerk

September 5, 2017 § Hinterlasse einen Kommentar

 

Dies ist einer von zwei Schuhen, in denen schon mein Vater in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts deutsche Mittelgebirge durchwanderte. Irgendwann überließ er sie mir, wahrscheinlich für meine erste große Tour kurz vorm Abi durch’s korsische Gebirge. Grandiose Sache damals, die mich freilich ob diverser Widrigkeiten an den Rand meiner Möglichkeiten brachte, mental und physisch. Seit dem trugen mich die Schuhe buchstäblich über Stock und Stein. Ein winning team, meine Füße und diese Schuhe, die stets zuverlässig dafür sorgten, dass ich erstere nicht spürte. Das Profil freilich ist, nun ja, noch sichtbar, am Hacken hatte ich vor Tirol jeweils ein Stück Sohle aufkleben lassen. So lief sich’s gut in den Alpen, immer noch fester Halt auf Gestein (feucht war’s halt nicht, Gott sei’s gedankt). Als ich nun aber die Schuhe vorm Reinigen betrachte, ist da plötzlich ein Loch in der Sohle, und – Hurra! – in dem Loch klemmt ein Steinchen, ein Mitbringsel vom Berg. Wie aufmerksam.

 

 

 

 

Und hier noch eine zeichnerische Nachlese zur Trentiner und Südtiroler Bergwelt – zwei benachbarte, aber doch unterschiedliche Gegenden. Andere Menschen, andere Pflanzen, andere Kultur. Ich muss mich da selber erst mal schlau machen, ergötz mich aber derweil am schönen Wort „Welschtirol“. So nannten die Deutschen nämlich das Trentino früher. Aber davon vielleicht demnächst mehr.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Palmen und der erste Schnee

September 3, 2017 § 5 Kommentare

Der Wanderführer, ein drahtiger, braungebrannter Mittsechziger mit jungburschenhafter Dynamik begrüßte uns. Pünktlich zur Gipfelwanderung war das Wetter umgeschwenkt. Statt Sonne satt tief hängende Wolken. „Schaut nit so gout aus. Vielleicht gibt’s Regen – oder Schnee.“ Pause. Ein breites Grinsen ging über sein Gesicht „Hoffentlich Schnee! Ich bin ein Schneemensch!“ Der Mann gefiel mir sofort. Wer mit den Bergen aufwächst, hat Sinn für Theatralik und schockt gerne mal weichgespülte Flachländer. Den Schnee gab’s dann aber erst Samstag, auf dem Rückweg ins flache Land oben in 2500 Meter Höhe auf dem Timmelsjoch. Aus Furcht vor einem Rückreisewellenverstopften Brenner hatten wir uns für einen Schleichweg auf die Nordseite der Alpen entschieden. Vielleich war’s zu früh am Morgen, oder der einsetzende Schneefall versetzte die Österreichischen Beamten in Feierlaune – jedenfalls winkte uns der Beamte an der Mautstation einfach durch und ersparte uns 16 Euro. Dank dafür von dieser Stelle aus! Vor dem Schnee aber genossen wir die Palmen im Passeiertal (in dem übrigens, wie wir vor Ort erfuhren, die Deutsche Fußballnationalmannschaft sich 2014 WMTitelreif trainiert hatte), überhaupt die üppige Vegetation:

 

 

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