Auch ich zu Corona

März 22, 2020 § 2 Kommentare

 

Katastrophen sind Zeiten für Welterklärer. Auf dem Feuer der Katastrophe kocht jeder sein Süppchen, öffnet sein Portfolio und bringt seine Produktpalette unter die Leute. Kaum hat’s genug Orangenkisten für all die Marktschreier, die jetzt ihre Botschaften in die digitalen Netze brüllen. Das war im Mittelalter nicht anders. Notzeiten sind Zeiten voller Empfänglichkeit, weit geöffneter Ohren, alle gieren nach Erklärung, Sinn, Trost. Die Logik hinter den Deutungsmustern ist immer die gleiche: wir haben gesündigt (wahlweise, je nach Weltanschauung: uns an der Natur vergangen und die Luft verunreinigt; zu viel gevögelt und Überbevölkerung produziert; Gott nicht geachtet und seinen Unmut provoziert; you name it – die wirklich hässlichen und schlimmen lasse ich hier aus), und jetzt kassieren wir die Quittung. Der sehr geschätzte Nikolai Alban Herbst schreibt etwa im Zusammenhang der Ausbreitung des Corona-Virus vom „Auswaschen der Gesellschaft“ und meint damit Selbstregulierungsprozesse der Natur. (s. hier) Gottseidank lesen bei ihm schlaue Leute mit (Peter H. E. Gogolin und Xo*), um hier die richtigen Antworten zu geben. Klar, zu viele Alte auf dem Planeten, deren Versorgung uns vor Herausforderungen stellt – schwupps kommt zur rechten Zeit ein Virus daher, um sich der Sache anzunehmen. Herbst weist natürlich daraufhin, dass er dies keinesfalls gut heiße. Ist aber auch nicht der Punkt. Mich stört an diesem Gedanken, dass hier eine „Norm“ postuliert wird, an deren Wiederherstellung die „Natur“ ein Interesse habe. Die Norm sagt in etwa, es dürfe nur Lebewesen geben, die sich selbst ernähren können. Doch diese „Norm“ kann stets nur etwas von Menschen Gedachtes, Postuliertes sein. Statt also zu denken: wenn Menschen immer älter werden (weil wir das so wollen), dann ist es unsere Aufgabe, mit dieser Situation umzugehen – dieser Gedanke: zu viele immer älter werdende Menschen stören mich, und ich beruhige mein vielleicht schlechtes Gewissen ob dieser Einstellung mit dem Gedanken, die Natur sehe das ja ganz offensichtlich auch nicht vor.

Der Mensch ist Teil eines Systems Erde (als Teil eines Systems Universum), und unterliegt in uneingeschränktem Maße all jenen Phänomenen, die sich mit Mitteln der Biologie beschreiben lassen. Diese Phänomene sind nicht die einzigen bestimmenden Faktoren, aber sie sind sehr mächtig. Unser Problem mit der aktuellen Krise scheint mir nun weniger darin zu liegen, dass tiefe Einschnitte bevorstehen, die unser aller Alltag betreffen, sondern dass wir uns außerhalb dieses Systems wähnen und Vorgänge dieser Art, die es im Verlaufe der Geschichte immer wieder gegeben hat, als quasi „persönlichen“ Angriff auf „die Menschheit“ werten. Spielen wir also doch einfach mal nicht den “Beleidigten“ und nehmen die Sache nicht persönlich. Nüchtern betrachtet steckt in jeder Krise eine Chance, weil feste Strukturen aufbrechen. Das ist jedenfalls eine Erkenntnis aus meiner persönlichen Lebenswirklichkeit heraus.

* s. vor allem ihre Antwort vom 20.3.20 10:21 zum „sechsten Coronajournal

ANH im LCB

September 12, 2015 § 2 Kommentare

Alban Nikolai Herbst im LCB

Letzten Dienstag stellte Alban Nikolai Herbst seinen neuen Roman „Traumschiff“ im Literarischen Colloquium Berlin vor. Eine wunderbare Veranstaltung, die erst jetzt ihren Niederschlag auf diesen Seiten findet, weil eine Erkältung den Dilettanten zu Boden drückte. Ich traue mich kaum zu erwähnen, dass ich es dieser Lesung verdanke, nach über zwanzigjähriger Beheimatung in dieser Stadt nunmehr erstmalig das LCB aufgesucht zu haben – ein Ort, der auf meiner Liste der unbedingt zu besuchenden Orte ganz oben stand, seit ich in den späten 80iger Jahren an der TU Berlin beim alten Höllerer, dem Gründer des LCB, Germanistikseminare besuchte. Dessen Sohn nun führte ein in Gespräch und Lesung. Alles Wissenswerte zu dem Buch lässt sich an berufenerer Stelle nachlesen – ich empfehle auch den Blog des Autors „Die Dschungel„: ich wüsste keinen Schriftsteller, der radikaler Einblick gewährte in Schaffensprozesse und dabei auf einem zwischen Profession und Privatem hoch aufgespannten Seil so virtuos hin- und herbalancierte.

 

Alban Nikolai Herbst und Wiebke Porombka im LCB

Alban Nikolai Herbst und Wiebke Porombka im LCB

 

 

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