Kleine Fotostrecke mit den Schumanns und Anita Albus im Lichte neuer Erkenntnisse

April 29, 2024 § 2 Kommentare

In der Staatsbibliothek die Daguerreotypie betrachtet, die Robert und Clara Schumann als Paar zeigt. Aufgenommen in Hamburg 1850, vier Jahre vor Beginn von Roberts Martyrium in Endenich und Claras Wiederaufnahme ihrer regen Konzerttätigkeit.

Daguerreotypie von Johann Anton Völlner: Schumann in sich gekehrt, Clara freundlichen an ihm vorbei blickend, die rechte Hand auf der Tastatur, ihrer pianistischen Potenz gewiss. 

Die silberbedampfte Kupferplatte ist aufgrund der Reflexionen im Raum und des Alters schwer abzulichten, wird aber nun professionell digitalisiert. Dann lassen sich vielleicht noch mehr Details erkennen.

oben links: Sofastillleben mit Anita Albus, von der ich antiquarisch drei unglaublich spannende Bücher erwerben konnte:

  • Die Kunst der Künste. Erinnerungen an die Malerei. Frankfurt am Main 1997.
  • Paradis und Paradox. Wunderwerke aus fünf Jahrhunderten. Die andere Bibliothek, hrsg. von Hans Magnus Enzensberger, Frankfurt 2002.
  • Maskulin – Feminin. Die Sexualität ist das Unnatürlichste von der Welt. München 1972. Darin: Anita Albus, Neue psychoanalytische Theorien der weiblichen Sexualität (und: sehr lesenswert und hochaktuell: Franz Böckelmann, Aspekte der Männlichkeit)

Albus ist ja eine ausgesprochene Modernitätsverächterin und schrieb bereits 1997 (!): „Glauben wir unser Zeitalter vor Irrtümern gefeit, weil alle Informationen auf Knopfdruck ins Haus schneien, erliegen wir einer doppelten Illusion. Zum einen können wir nicht mehr aufnehmen, als das kurze Leben erlaubt, zum anderen multiplizieren sich die Dummheiten durch Menge und Leichtigkeit der Rezeption ungleich schneller, als die im Info-Mischmasch verborgenen Denkfrüchte.“ Die Kunst der Künste, S. 271

Kreisleriana

Oktober 22, 2023 § 2 Kommentare

Eusebius trat neulich leise zur Thüre herein…

Mit diesen Worten betritt 1831 der junge Musikschriftsteller Robert Schumann, den gleichaltrigen Frederick Chopin entdeckend, die öffentliche Bühne. 23 Jahre später schließt sich hinter ihm eine Thüre, die seine kometenhafte Laufbahn als romantischer Komponist in den Abgründen der Psychiatrie beenden wird. Ein Thema, das mich, nicht zum ersten Mal, seit Wochen aufwühlt. Schumanns Musik, insbesondere das geniale frühe Klavierwerk, zieht sich durch mein Leben, seit ich im Alter von zehn Jahren mit Klavierunterricht begann und den durch seinen Unfalltod freigewordenen Platz meines jüngeren Bruders einnahm.  Das „Wiegenliedchen“ aus den Albumblättern opus 124 war mein allererstes Lieblingsstück und begründete die lebenslange Liaison mit dem Romantiker. Einige Jahre später war es dann der kürzlich verstorbene Radu Lupu, der im Staatstheater Darmstadt den erkrankten Alfred Brendel ersetzte und mir das erste unvergessliche Konzerterlebnis schenkte. Seine Interpretation der Kreisleriana, zu der sich Schumann durch eine literarische Figur E. T. A Hoffmanns inspirieren ließ, erschloss mir eine neue Welt musikalischen Erlebens. Die fixe Idee, Musik zu studieren, um ganz in diesen Kosmos einzutauchen, führte beruflich ins Nirwana, gab mir aber ein Rüstzeug in die Hand, das mir seitdem die Welt der Noten aufschließt. 

Der Legende nach führten Clara und Robert Schumann über vierzehn Jahre hinweg eine glückliche Ehe als Künstler und Eltern von sieben Kindern, bevor sich bei Robert Anfang 1854 plötzlich Wahnvorstellungen bemerkbar machten, er sich das Leben nehmen wollte und schließlich um Schutz in einer Irrenanstalt bat. Trotz ärztlicher Bemühungen und liebevoll aufopfernden Einsatzes Claras sowie des engsten Freundeskreises verschlimmerte sich in der „Nervenheilanstalt“ Endenich bei Bonn Roberts Geisteskrankheit. Nach zweieinhalb Jahren erlöste ihn der Tod von seinem unheilbaren Leiden. Die an das Totenbett geeilte Clara vertraute ihrem Tagebuch an: „Ich sah ihn… Er lächelte mich an und schlang mit großer Anstrengung, denn er konnte seine Glieder nicht mehr regieren, seinen Arm um mich – nie werde ich das vergessen… Mein Robert, so mussten wir uns wiedersehen wie mühsam musste ich mir deine geliebten Züge hervorsuchen: welch ein Schmerzensanblick … Vor 2 1/2 Jahren von mir gerissen, ohne Abschied, was alles auf dem Herzen, und nun still zu seinen Füßen lag ich, wagte kaum zu atmen, und nur dann und wann ein Blick, zwar umnebelt, aber doch so unbeschreiblich mild, wurde mir. Alles um ihn her war mir so heilig… Er litt schrecklich… Ach, ich musste Gott bitten, ihn zu erlösen, weil ich ihn ja so lieb hatte…“ 

Der kürzlich verstorbene, erfahrene Psychiater Uwe Henrik Peters, eine Koryphäe auf seinem Gebiet und mehrere Jahre Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, wurde Ende der 80iger Jahre auf den letzten Brief aufmerksam, den Robert aus Endenich an Clara geschrieben hatte. Er wunderte sich, wie ein angeblich Geisteskranker einen solchen Brief verfassen konnte. Aus persönlichem Interesse forschte er über Jahre zu dem Thema und konterkarierte schließlich die weit verbreitete Schumann-Erzählung mit der These, Schumann habe sich in einem ungelösten Ehekonflikt befunden, möglicherweise halluziniert aufgrund eines Alkoholdelirs, sei daraufhin nach Endenich verbracht worden und dort gegen seinen ausdrücklichen Willen, obschon nicht geisteskrank, festgehalten worden, ehe er sich, die Ausweglosigkeit seiner Situation begreifend, zu Tode hungerte.  Zu diesem Thema veröffentlichte Peters mehrere Bücher, die in der Schumann-Forschung Empörung auslösten und deren Thesen unter anderem kürzlich (2019) von dem Arzt und Leiter des Münchener Ärzteorchesters, Reinhard Steinberg, vehement bestritten wurden. Mithilfe einer „psychiatrisch-semantischen Textanalyse der Krankenunterlagen“ und von Briefmaterial glaubte er, „die Unterstellung einer Abschiebung [Schumanns nach Endenich] ad absurdum führen zu können.“

In der Staatsbibliothek, die in erheblichem Umfang Manuskripte und Objekte Robert und Clara Schumanns besitzt, sah ich gestern die Originaldaguerreotypie des Ehepaares von  1850, vier Jahre vor Ausbruch der Krise. An dieser Stelle werde ich meine Lektüreerfahrungen und Erkenntnisse zum Thema in nächster Zeit mitteilen. Stay tuned.

… dabei sprach aber viel Seligkeit aus seinen Augen.

April 19, 2018 § 7 Kommentare

 

Robert und Clara Schumann

 

Das Thema Psychiatrie überfordert viele von uns. Auch wer sich beruflich mit dem Thema beschäftigt, nutzt oft, legitimerweise, mehr oder weniger große Spielräume zum Schutz der eigenen seelischen Integrität. Wie auch soll man sich vorstellen, was in einem psychisch kranken Menschen vorgeht; wie weit ist Empathie – im Hinblick auf  körperlich Erkrankte wohlfeil zu haben – möglich Menschen gegenüber, deren Krankheit weit in die Persönlichkeit eingreift, in den Charakter und all das, was wir im persönlichen Miteinander schnell unter moralischen Kategorien abhandeln? Das legitime Bedürfnis Erkrankter nach Schutz und Hilfe geht mit dem Verlangen der Allgemeinheit nach „Schutz“ v o r den Kranken nur zu oft eine unheilvolle Allianz ein. Wer in einem geschützten Umfeld Linderung und Heilung sucht, ist eben schnell gleichermaßen weggesperrt und damit dem persönlichen Umfeld als Last „abgenommen“. Seit jeher erprobte Muster im Umgang mit „Verrückten“ sind Tabuisierung, Skandalisierung, Entmenschlichung, – aber auch Versuche der Hinwendung und des verantwortlichen Sorgens. Oder aber: Romantisierung, Überhöhung. Die Formel dafür: „Genie und Wahnsinn“, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Typischer „Fall“: der Komponist Robert Schumann, der einer beliebten Erzählung zufolge zunächst in einem hochromantisch-heroisch geführten Kampf gegen den pedantischen Schwiegervater in spe die Ehe mit der Klaviervirtuosin Clara Wieck errang, um dann nach vierzehnjähriger Traumkünstlerehe vor einer ausbrechenden Geisteskrankheit in einer privaten Heilanstalt Schutz zu suchen, wo er nach zweijähriger Leidenszeit von seinem irdischen Dasein erlöst wurde. Der renomierte Psychiater Uwe Henrik Peters stellte demgegenüber erstmals 2010 die These auf, dass Schumann nicht geisteskrank war, sondern aufgrund einer Fehldiagnose behandelnder Ärzte, und de facto entmündigt von seiner Frau, in die Irrenanstalt eingewiesen wurde, dort letztendlich gegen seinen erklärten Willen festgehalten wurde und sich schließlich, aller Würde beraubt, und um seinem Leiden ein Ende zu setzen, zu Tode hungerte. Als ich vor einigen Wochen, aus einem harmlosen Wiederauffrischungsinteresse am Klavierwerk Schumanns heraus, auf die inzwischen in Buchform vorliegenden Arbeiten Peters stieß, ergriff mich mit zunehmender Lektüre ein Schwindel – ich glaubte, in einen Abgrund zu schauen. Halt erhoffte ich mir von kritischen Rezensionen der Publikationen, seriös wissenschaftlichen Widerlegungen der Thesen Peters seitens der Schumann-Forschung. Was ich fand – vielmehr: nicht fand – ließ mich schaudern. Die „offizielle“ Schumann-Forschung, allen voran der Ehrenvorsitzenden der Robert-Schumann-Gesellschaft Zwickau Gerd Nauhaus, diffamierte entweder Arbeiten und Person U. H. Peters, oder verschwieg sie einfach. Mir wurde schnell klar, dass große Teile der Musikforschung wie auch der musikinteressierten Öffentlichkeit offensichtlich nicht an der Wahrheit, oder dem, was man im Ergebnis historischer Forschung dafür halten mag, interessiert sind, sondern einzig daran, ein tradiertes Schumann-Bild zu schützen. Oder, wie Peters vermutet: der Schumann-Mythos ist offenbar zu stark. Sechzehnjährig hörte ich zum ersten Mal die Kreisleriana Schumanns, in einem Konzert des Pianisten Radu Lupu, der für den erkrankten Alfred Brendel eingesprungen war. Ein musikalisches Erweckungserlebnis, dem viele beglückende Musikerfahrungen im Schumannschen (Klavier)Kosmos folgten. Der Gedanke, sich den Urheber dieser vielen persönlichen Glücksmomente und tiefen Erfahrungen als einen Gedemütigten, Entrechteten, Gequälten und letztlich unter der „Obhut“ eines mit eiskaltem Wasser, Zwangsmedikation und physischer Gewalt behandelnden Arztes zum Tode Verurteilten vorstellen zu müssen – dieser Gedanke hat etwas zu tiefst bestürzendes.

 

 

Robert Schumann Versuch eins

 

Robert Schumann Versuch zwei

 

Robert Schumann Versuch drei

 

„…dabei sprach aber viel Seligkeit aus seinen Augen“: Überschrift des letzten der 18 Davidsbündlertänze, komponiert in der Zeit der heimlichen Verlobung mit Clara Wieck. Schuman schrieb über diese Tänze: „War ich je glücklich am Clavier, so war ich es als ich sie componierte.“ (zitiert nach: Henle Urtextausgabe)

Literatur:

Henrik Uwe Peters: Abgeschoben ins Irrenhaus. In: Deutsches Ärzteblatt  22/2010

ders.: Robert, Clara und Johannes. Schumanns letzte Jahre. 2. Auflage Köln 2013

 

 

P. S. Die Dame von Welt widmet dem Thema Psychiatrie gerade einen empfehlenswerten Artikel anlässlich des hoch problematischen Bayerischen Psychiatriegestzentwurfs.

 

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